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Nils Christian Wédtke: Och (Review)
Artist: | Nils Christian Wédtke |
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Album: | Och |
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Medium: | CD | |
Stil: | Vielfältige Lieder mit psychologischem Tiefgang |
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Label: | Esque Music | |
Spieldauer: | 45:22 | |
Erschienen: | 07.11.2014 | |
Website: | [Link] |
Natürlich verdient es immer wieder Hochachtung, wenn sich auch heutzutage junge Liedermacher mit ihrer Musik zu Wort melden, die kaum noch Beachtung in den öffentlichen Medien zu finden scheint.
Nein, sie findet dort im Grunde gar nicht mehr statt!
Pop und deutsche Texte all dieser Tawils, Bendzkos, Bouranis und und und sind zwar angesagt, auch durchaus anspruchsvoll - aber hier haben eben doch eher die Rhythmen und Melodien Vorrang - erst dann spielt der Text eine Rolle. Bei deutschen Liedermachern ist es eher umgekehrt, so wie beispielsweise auch bei NILS CHRISTIAN WÉDTKE.
Doch bevor ich weitere Worte zu dem vielen wahrscheinlich unbekannten Musiker, der gerne auch zur Interpretation seiner Musik auf eine Band zurückgreift, die mit Trompete, (Kontra-)Bass, Mundharmonika und Schlagzeug den singenden Gitarristen unterstützt, sollten wir unbedingt vorab einen Blick auf sein Electronic Press Kit werfen, für den die „nützlichste Erfindung der Menschheit“ die MUSIK ist. Sein Schlagzeuger charakterisiert ihn darin auch als „die postmortale Reinkarnation von HANNES WADER“, womit er gar nicht so unrecht hat, auch wenn die Stimm(lag)en der beiden Welten voneinander entfernt sind.
Wédtke ist kein begnadeter, aber ein guter Sänger und vor allem ein Liedermacher, der etwas zu sagen hat. Seine Lyrik ist angenehm verständlich, nicht pseudointellektuell verschlüsselt. Seine Botschaften kommen glasklar, sogar provokant herüber, so wie bei dem seltsamen Liebeslied auf seine Heimatstadt Bielefeld, das in der Feststellung gipfelt: „Du bist das Örtchen, wo nachts kein Hund mehr bellt.
Du bist so wunderschön, wenn die Sonne auf dich fällt.
Die große Kleinstadt, die immer nur verspricht, was sie auch hält.
Du bist ein unrasierter Fleck am Arsch der Welt.
Ach, Bielefeld!“
Beginnen wir aber mit dem Anfang - im Falle von „Och“ also dem „Intro“, welches mit seiner melancholischen Aussagekraft und der fast singenden Trompete einfach nur grandios ist und auch solch gelungenen, fast freche Textzeilen wie: „Ich liege schweißgebadet am Boden / Ich bin zerbissen von dir / Ein Herzschlag vom Hals bis zum Hoden / Alles vibriert.“ enthält. Es wäre einfach zu schön, wenn das ganze Album diese Atmosphäre auch weiterhin versprühen würde - doch am Ende werden auch wir ein wenig mit der Feststellung: „OCH - da wäre dOCH nOCH mehr drin gewesen!“, zurückgelassen werden. Denn bereits „Elefant für mich“, der irgendwie wie eine schwächere Ausgabe von SPORTFREUNDE STILLER kombiniert mit REVOLVERHELD klingt, enttäuscht. Und dieser Song bleibt nicht die einzige Enttäuschung, denn auch „Raubtier“ oder dieser lächerliche, ausgelatschte Gag mit „Stille“, der spätestens seit dem gleichen Käse, den schon JOHN LENNON und YOKO ONO wohl als erste fabrizierten, indem sie dem „Titel“ genau das folgen ließen, was er aussagt - eben Stille - nicht neu, sondern nur albern ist. Lieber Nils, lass solche Scheiße und besinne dich auf das, was du kannst und was auf eine CD gehört, nämlich Musik. Aber garantiert keine Stille, selbst wenn die nur eine knappe Minute lang still ist.
Manchmal ist beim Hören von „Och“ auch gut zu wissen, dass hier ein studierter Psychologe singt - denn dieser Blick in seinen Liedern hat genau den Horizont, den wir brauchen, um diese Welt und uns ein bisschen besser zu verstehen. Auch kommt uns bei seiner Musik nicht wirklich HANNES WADER, sondern viel eher KETTCAR oder ENNO BUNGER in den Sinn, mit dem er bereits gemeinsam die deutschen Konzertbühnen erobert hat. Beide Musiker ähneln sich sehr, auch wenn Bunger der bessere Sänger ist. Als Texter sind sie sich ebenbürtig, keine Frage. Und wenn Nils Christian singt: „Mutter Erde, der Tag wird kommen, an dem ich sterbe und wenn ich dann zu Kompost werde, bin ich ein Teil von dir!“, dann ist eins klar: solche Lyrik kann man heutzutage in Deutschland wirklich mit der Lupe suchen, selbst wenn manchmal auch ein paar blöde Ausrutscher, wie die lyrische Plattitüden bedienende „Kapitalismus-Kritik“ in „Raubtier“ dem eigenen textlichen Anspruch nicht standzuhalten vermag.
Manchmal klingt in der Musik von NILS CHRISTIAN WÉDTKE leider auch die ziemlich ausgelatschte Hamburger Schule - ein bisschen TOCOTRONIC und etwas STERNE oder BLUMFELD - durch, egal ob die Lieder nun „Für die Unendlichkeit“ oder „Morgenlicht“ heißen. „Och“ wirkt insgesamt etwas durcheinander, nicht wirklich ausgegoren wie ein gut gereifter Wein, sondern eher wie ein Federweißer, der nach den ersten zuckersüßen, schmackhaften Schlucken deutliches Magengrummeln hinterlässt.
Besonders Bewegendes gibt es auf „Och“ aber auch so einiges zu entdecken, selbst wenn das immer die ruhigeren, traurigen, verhalten instrumentierten melancholischen Songs sind. Der musikalische Nachruf „Janis“ ist das beste Beispiel dafür. Hier gehen Text und Musik extrem nah - bilden eine gelungene Symbiose: „Hätte ich nicht ahnen können, dass es keinen anderen Ausweg für dich gab? Wie ein Idiot schaue ich in den Himmel und sitze an deinem Grab! [...] Wenn du jetzt ein Engel bist, ein Stern am Himmel, dann leuchte jetzt für mich, nur dieses eine Mal, wenn du ein Engel bist, Janis.“ Und plötzlich brechen sogar harte Gitarren und Rhythmen über diesen traurigen Song ein, ganz genauso wie es wohl auch die Erkenntnis war, dass ein guter Freund den Weg des Suizids beschritten hat. Oder „Huckepack“, ein Lied über den schmalen Grat zwischen Freundschaft und Liebe, das sich mit ein paar entspannten Bar-Jazz-Anklängen sowie zartem Cello-Einsatz auszeichnet. Und dann gibt es da noch einen ganz besonderen Song - einen echten „Longtrack“ mit einer Laufzeit von 13 Minuten: „Hölle“. Eingeleitet durch ein zerbrechlich und improvisiert klingendes Piano-Solo, das sich zwei Minuten lang entfalten kann, bis Gitarre, Bass und Schlagzeug die Regie übernehmen und psychedelische Keyboardklänge sich einschleichen, bis nach vier Minuten N.C. Wédtke seine traurige Litanei über die Hölle in ihm vorträgt, während sich die Musik immer mehr in Richtung Americana und CALEXICO-Gefilde bewegt: „Ich hab den Hass auf die Hässlichkeit von denen, die sich verkleiden als so genannte Menschen eben.“ Diese „Hölle“ ist der wahre Liedermacher-Ritterschlag der besonderen Art für NILS CHRISTIAN WÉDTKE! Gerade diesem kleinen Kunstwerk „Stille“ folgen zu lassen, ist wahrer Frevel! Selbst wenn mit dem wiederum sehr ruhigen „Glück gefunden“ „Och“ gerade so noch die Kurve hin zu einem versöhnlichen Schluss des Albums findet.
FAZIT: Musikalisch erwarten uns auf „Och“ eine ganze Menge Höhen, aber auch so einige Tiefen, die bei dem Potenzial des Hamburger Liedermachers mit psychologischem Ausnahmeprofil locker vermeidbar wären. Selbst wenn man aus Hamburg kommt, muss man sich nicht unbedingt der Hamburger Schule verpflichtet fühlen.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Intro
- Elefant für mich
- Ach, Bielefeld
- Raubtier
- Brave, alte Welt
- Morgenlicht
- Für die Unendlichkeit
- Janis (1985 - 2005)
- Huckepack
- Hölle
- Stille
- Glück gefunden
- Ach, Bielefeld (Mitov Remix)
- Bass - Richard Welschhoff
- Gesang - Nils Christian Wédtke
- Gitarre - Nils Christian Wédtke, Malte Lehnung
- Schlagzeug - Uwe Martin, Philipp Schulz
- Och (2014) - 11/15 Punkten
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